Die Klassiker

„Mussu mal gelesen haben, ist richtig gutes Zeuch.“

Das letzte angefangene Buch habe ich nach der Hälfte in die Mülltonne geworfen. Ich dachte, es läge an mir, weil das Buch doch einen Buchpreis bekommen hat. Es handelte sich aber um wirres Alt-Männer-Geschreibe mit absurd anachronistischen Alt-Männer-Fantasien. Es widerte mich regelrecht an. Ich zweifelte ernsthaft an mir, an meinem Verstand, meiner Menschenkenntnis.

Ich erzählte meinem Buchhändlerfreund davon, der spontan ausrief: „Um Gottes Willen, das hast Du gelesen?! Das würde ich nicht mal freiwillig in die die Hand nehmen!“

Puh, doch nicht nur ich. Das Cover war hübsch und … Buchpreis. Mein Freund lachte über meine Naivität.

Ich weiß, dass es viele gute Bücher gibt, ich habe mir letztes Jahr Empfehlungen eingeholt. Und doch hat jeder seinen Geschmack. Ich lese im Zickzack und springe von einem Stil und Genre zum anderen. Mein Labyrinth kenne aber auch nur ich.

Nach diesem Erlebnis wollte ich auf Nummer sicher gehen und nahm mir vor, endlich mal die Klassiker zu lesen, die mir ständig begegnen und von denen die Rede ist, wenn es darum geht, was man gelesen haben muss. Die lesenden Freunde von mir würden jetzt aufschreien, aber wenn ich mit ihnen rede, sind sie sich einig: Shakespeare und Kafka. Ich habe überhaupt kein Problem mit „gelesen haben“ oder „gehört haben“-Listen. Beatles und Nirvana. Sagt ja niemand, dass es nur zehn sein müssen.

Ich habe mit Mary Shelleys Frankenstein angefangen.

Jetzt bin ich gerade bei Lolita von Nabokov und danach kommt Kafkas Der Prozess.

Meinten Sie etwa …?

Das ist schon ein bisschen lustig. Ich suche speziell nach einer ganz bestimmten Ärztin und dachte, so finde ich sie schneller, weil ich die ganzen Männer rausfilter. Wenn ich nach „tierarzt wieblingen“ suche, moniert Google nichts.

Als Filterfunktion finde ich die Kategorie Frau/Mann schon ganz nützlich. Aber, wie gesagt, zur Not kann ich drauf verzichten.

Boygenius

Ich höre gerade viel Indie-Folk, weil nach den Indie-Rock-Bands der 90er und Nuller die Frauen, die damit aufgewachsen sind (nehme ich an), ihre eigenen Songs schreiben (es sind komischerweise kaum Männer darunter, oder habe ich da was überhört?!).

Unser Sänger und ich lieben Boygenius, die Supergroup bestehend aus Julien Baker, Phoebe Bridges und Lucy Dacus. Die kann man alle drei gut hören, das neue gemeinsame Album ist jedoch ziemlich gelungen. Ein ganz tolles Album ist das geworden.

Sie geben zwei Konzerte, eines in Köln und eines in Berlin, und wenn das zeitlich nicht so blöd liegen würde, wären wir zusammen hingegangen. Das wäre mir eine Reise wert gewesen.

Madison Cunningham

Der Youtube-Algorithmus hat mir Madison Cunninghams Life According To Raechel angezeigt.

Dieser Song ist dieses Jahr sehr wahrscheinlich mein meistgehörtes Highlight. Das Jahr ist zwar noch lang, aber ich kenne mich.

Ihr Album Revealer ist letztes Jahr rausgekommen und hat einen Grammy gewonnen für das beste Folk-Album. Ich finde es sehr beachtlich und toll, weil es musikalisch vielfältiger ist als die meisten Alben aus dem Bereich. So richtig einzuordnen ist sie nicht, was nicht nur eine Frage des Musikstils ist, sondern eben auch ihrer Art, wie sie Musik macht. Überraschend anspruchsvoll.

Tomberlin

Viel neue, aktuelle Musik habe ich in letzter Zeit nicht entdeckt oder gehört. Die letzten zwei Monate war ich mit unserer Setlist beschäftigt und habe viel alte Sachen gehört.

Seit einem Jahr habe ich allerdings ein bisher noch gar nicht gehörtes Album in meiner Bandcamp-Bibliothek. Gekauft und nie richtig gehört. Das habe ich jetzt nachgeholt, vielleicht war die Zeit einfach reif dafür. Ich habe mir jetzt auch das andere Album geholt und bin ziemlich sprachlos beeindruckt.

My eyes are heavy, all I wanna do is sleep
But I need to make money and I need to eat
And loving never made anybody I know happy
And loving only seems to make you bruise and to bleed

Und Seventeen ist auch wunderschön. Und Stoned. Und Memory.

Auf Wikipedia steht:

Growing up, the first albums that Tomberlin owned were the soundtrack to the musical film Chicago (2002), Dashboard Confessional’s The Places You Have Come to Fear the Most (2001), and Bright Eyes’s I’m Wide Awake, It’s Morning (2005).

Interessant, da muss ich mal reinhören.

Die Frau vom Bürgermeister

Nur so ein Gedanke.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die angehängten weiblichen Endungen im Deutschen nett gemeint waren, geschweige denn emanzipatorisch. Hat die weibliche Endung eine emanzipatorische Bedeutung bekommen, weil man sie positiv werten wollte, also ins Gegenteil verkehren? Die Bürgermeisterin war dann nicht mehr die Frau vom Bürgermeister, sondern der Bürgermeister selbst? Eine positiv gewendete Movierung, also?

Ich denke, dass die Nennung des Geschlechts in der Sprache zur Abgrenzung gegenüber dem Maskulinen und gewissen Lebensbereichen (Wissenschaft, Politik) benutzt wurde. Aber das ist nur eine Vermutung. Die weibliche Endung untermauerte das Patriarchat. In der Emanzipation wurde es positiv umgedeutet, das war gewollt und beabsichtig. Hätte man an der Stelle nicht auch einen anderen Weg einschlagen können und drauf verzichten?

Ich frage mich, ob es nicht schlauer gewesen wäre, sich von der ursprünglich (vermutlich!) eher negativ konnotierten Form des Weiblichen zu trennen und die männlich gedeutete vom Geschlecht zu entbinden. Also: Der Bürgermeister ist eine Frau. Der Satz wäre vor hundert Jahren eine Sensation gewesen. Heute würde man bei dem Satz genau das denken, was eigentlich alle wollen: Wen interessiert das Geschlecht?

Vor vierhundert Jahren mag man überrascht ausgerufen haben: „Stehen Frau Wirtin jetzt daselbst hinter der Theke und zapft mir das Bier (dröhnendes Gelächter), seit wann steht Mannsweib hinter der Theke?! (dröhnendes Gelächter, Fäuste, die auf den Tisch klopfen).“ Die Frau, nein, keine zwei Meter große, kräftige Frau, sondern eine kleine, schmächtige Frau mit blonden Locken, geht nicht zum Tisch und stellt sich bedrohlich und ebenbürtig vor den bärtigen Grobian, sie spuckt auch nicht listig in sein Bier, sondern flüstert nur leise in sich hinein: „Lieber Gott, womit habe ich das verdient?! Wird die Welt jemals anders sein?“

Die Welt ist eine andere geworden und Frau Wirtinnen sind nicht mehr die Frau vom Wirt, sondern führen selbst die Gaststätte. Mir kommt dabei einfach nur der Gedanken: Hätte man nicht im Laufe der Zeit (also die letzten hundert Jahre) das ursprünglich – das vermute ich – diskriminierend gemeinte -in nicht ablegen können?

Kein Mensch interessiert sich für das Geschlecht, wenn er einen Klempner ruft.

Kurz noch nachträglich angemerkt: das Die und Der werden sowieso als willkürlich angesehen und haben für eine geschlechtliche Vorstellung kaum Bedeutung, da braucht man nur mal jemanden fragen, der Deutsch lernt (Die Bohrmaschine).

Nebenbei bemerkt: Kinder haben ihre Geschlechtsneutralität bewahrt. Quereinsteiger auch.

Um das Ganze mal als Gedankenexperiment zu veranschaulichen – und möglicherweise wird meine Idee dadurch vorstellbar – zitiere ich aus dem Wikipedia-Eintrag zu „Geschlechtergerechte Sprache“ Luise F. Pusch:

Luise F. Pusch, Pionierin der geschlechtergerechten Sprache, verdeutlichte diese unsymmetrischen „Geschlechts-Schubladen“:

„Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger … Futsch sind die 99 Frauen, nicht mehr auffindbar, verschwunden in der Männer-Schublade. Die Metapher bewirkt, dass in unseren Köpfen nur Manns-Bilder auftauchen, wenn von Arbeitern, Studenten, Ärzten, Dichtern oder Rentnern die Rede ist, auch wenn jene Ärzte oder Rentner in Wirklichkeit überwiegend Ärztinnen bzw. Rentnerinnen waren.“

Der letzte Satz ist wichtig, denn dieses Bild, diese Vorstellung hätte möglicherweise einen Wandel erfahren. Die Vorstellung wäre möglicherweise vielfältiger als man denkt. Jedenfalls dreht „Sänger*innen“ die Vorstellung einfach um, man stellt sich nur Frauen vor (wenn ich die Quelle finde, poste ich sie hier). Kann man machen, aber dann muss man auch mit Verbrecher*innen und Mörder*innen konsequent leben. Der Satz: „Die meisten Verbrecher*innen sind Männer“ ist aber auch ein bisschen komisch.

Jedenfalls ist das Zitat von Pusch erst einmal eine Behauptung, und möglichweise würde sich diese Behauptung heute nicht mehr als richtig erweisen. Viele Wörter haben einen Bedeutungswandel erfahren, so vielleicht auch Lehrer, Arzt und Sänger.

Wie gesagt, es ist nur ein Gedankenexperiment, das eigentlich hinfällig ist, weil wir das Rad der Zeit nicht zurückdrehen können. Wir müssen jetzt damit leben, in der Sprache nicht allen immer konsequent gerecht zu werden.

Hat man eigentlich schon das Auslassungszeichen in Betracht gezogen? So wie bei Rock’n’Roll? Also: Ärzt’innen? Das ist doch eigentlich das Zeichen der Wahl?!

Update: Jemand hat mir dieses Video geschickt. Das bestätigt, was ich mir dachte.

Raw are the roots

Gestern habe ich mir ziemlich spontan eine Karte für den Stream der Premiere von zwei Stücken, die vom Nederlands Dans Theater getanzt wurden, gekauft. Den Stream kann man nur live verfolgen, was ich immer etwas schwierig finde, weil zuhause irgend welche Unterbrechungen dazwischen kommen können. Das ist der Vorteil am Theater. Türen zu, Ruhe, Smartphone aus.

Ich hatte aber Zeit und Lust, und mit dem NDT habe ich mich wieder etwas versöhnt, nachdem sie sich dann doch noch deutlich von Goecke distanziert hatten.

Auf deren Seite gibt es Infos und Videoschnipsel.

Das erste Stück war von Felix Landerer (aus Hannover), das zweite von Sharon Eyal & Gai Behar.

Felix Landerer kannte ich nicht, sein Stück hat mich sehr beeindruckt. Ein unglaublich schönes Stück, so elegant und kraftvoll, wie ich mir Tanz wünsche. Einfach wunderbar.

Sharon Eyal & Gai Behar kenne ich sehr gut und finde alles von ihnen toll. Behar hat darin Lyrics von Grundstück von Einstürzende Neubauten gesamplet und sogar lip sync von einem Tänzer sprechen lassen. Neubauten und Sharon und Behar … wie großartig. Einen wirklichen Bedeutungszusammenhang, den man analysieren könnte oder müsste, sehe ich nicht. Wie ich generell Tanz nicht analytisch, sondern assoziativ und gefühlt wahrnehme. Wenn ich etwas erkennend wahrnehme, dann die Bewegungs-Technik bzw. -Stil. Rein tanzanalytisch also. Das heißt nicht, das dahinter keine übergeordnete Idee steckt, sondern, dass diese Idee nicht das ist, was Künstler’innen wahrgenommen sehen wollen. Ich bin sowieso der Meinung, das man Botschaften immer im Text formulieren soll. Das ist das bessere Mittel und Medium. Geschichten sind nochmal ein anders Thema. Der moderne Tanz hat sich sozusagen vom Zwang der Erzählung befreit (parallel zur Malerei). Heute beschäftigt er sich in erster Linie mit Beziehungen.

Schön auch zu sehen, dass eine Tänzerin Knieschoner trägt. Auch vom Zwang der Kostümierung hat sich zeitgenössischer Tanz befreit. Die Gesundheit (also auch die körperliche Unversehrtheit) ist etwas, was zunehmend berücksichtigt wird, niemand sollte möglichst zu etwas getrieben, gedrängt oder gebracht werden, was er nicht möchte, ihm schadet oder unangenehm ist. Auch das ist zeitgenössisch.

Kunst­betrach­tung und Bild­beschreibung

Sorry, wenn ich schon wieder, aber … ich sollte einfach nicht mehr so verblüfft sein und mich langsam dran gewöhnen:

Schreibe eine Bildbeschreibung mit mindestens 2000 Wörtern zu Mark Rothkos Bild Orange, Red, Yellow

Das Kunstwerk „Orange, Red, Yellow“ von Mark Rothko ist eine monumentale Darstellung der Farben Orange, Rot und Gelb, die auf einer Leinwand von 236,2 x 172,7 cm (93 x 68 Zoll) gemalt sind. Rothkos Kunstwerke gehören der Kunstrichtung des Abstrakten Expressionismus an und sind dafür bekannt, dass sie Emotionen und Gefühle durch die Kraft der Farben ausdrücken.

Das Gemälde besteht aus drei horizontalen Rechtecken, die fast die gesamte Leinwand ausfüllen. Das obere Rechteck ist gelb, das mittlere rot und das untere orange. Die Farben sind klar voneinander abgegrenzt, aber es gibt auch einige Stellen, an denen sie miteinander verschmelzen. Die Ränder der Farbflächen sind unregelmäßig und verschwommen, was dem Werk eine gewisse Unschärfe verleiht.

Die Farben in „Orange, Red, Yellow“ haben eine starke emotionale Wirkung auf den Betrachter. Orange, Rot und Gelb sind leuchtende und lebhafte Farben, die Freude und Energie ausstrahlen. Rothko verwendet jedoch keine klaren Linien oder Formen, um die Farben zu definieren. Stattdessen lassen die unregelmäßigen Ränder der Farbflächen den Betrachter die Grenzen zwischen den Farben selbst definieren. Diese fehlende Definition und die Verschmelzung der Farben sorgen für ein Gefühl von Unendlichkeit und Unbegrenztheit, was das Werk zu einem äußerst einnehmenden Erlebnis macht.

Das Gemälde „Orange, Red, Yellow“ von Rothko ist ein hervorragendes Beispiel für seine typische Malweise, die oft als „multiform“ bezeichnet wird. Bei dieser Technik verwendet Rothko Farbflächen, die scheinbar willkürlich auf der Leinwand verteilt sind. Dies ermöglicht es dem Betrachter, seine eigenen Interpretationen und Bedeutungen aus den Farbflächen abzuleiten. Rothko selbst sagte über seine Arbeit: „Ich versuche, den Betrachter zu involvieren, damit er sich fühlt, was ich gefühlt habe.“

Die Farben in „Orange, Red, Yellow“ sind von großer symbolischer Bedeutung. Orange, Rot und Gelb sind nicht nur lebhafte und leuchtende Farben, sondern auch Farben, die mit der Sonne und dem Feuer assoziiert werden. Diese Elemente sind seit Jahrtausenden mit Energie, Wärme und Leben verbunden und können daher eine starke emotionale Wirkung auf den Betrachter haben.

Darüber hinaus haben Orange, Rot und Gelb auch in der Psychologie eine besondere Bedeutung. Rot zum Beispiel wird oft mit Leidenschaft, Wut und Energie assoziiert, während Gelb mit Freude, Glück und Optimismus in Verbindung gebracht wird. Orange wiederum ist eine Mischung aus Rot und Gelb und kann daher eine Kombination der Eigenschaften beider Farben darstellen.

Rothkos „Orange, Red, Yellow“ ist auch in Bezug auf die Komposition ein bemerkenswertes Werk. Die drei horizontalen Rechtecke sind symmetrisch angeordnet und nehmen fast den gesamten Platz auf der Lein …


Wäre ich Schüler, wäre ChatGPT eines meiner Hauptwerkzeuge. Ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen als eine Bildbeschreibung zu Mark Rothko-Bildern. Zum Glück stellt niemand diese Aufgabe. Hoffe ich.

Ich habe allerdings noch nie etwas von „multiform“ in der Malerei gehört oder das Zitat von Rothko gelesen. ChatGPT lügt ohnehin ohne mit der Wimper zu zucken.

Update: Kritiker haben seinen Stil als „multiform“ bezeichnet.

Although Rothko never used the term multiform himself, it is nonetheless an accurate description of these paintings.

Was daran treffend oder akkurat ist, kann ich nicht nachvollziehen. Das Zitat konnte ich nicht überprüfen. Glaubwürdig ist es.

Bing ist mir lieber, das liefert wenigsten Quellen.

Ich wollte diesen Eintrag auch gar nicht so ernst nehmen, es war eher als Witz gemeint. Man sollte nicht allzu viel Worte über ein Werk von Rothko verlieren. Deswegen bin ich jetzt auch still.

Der Inhalt einfach nur WOW

Ich kann wieder ohne Brille lesen. Seit 15 Jahren lese ich nur mit Lesebrille, mittlerweile brauche ich für fast alles eine Brille, außer Autofahren und draußen Laufen. So richtig störend ist es beim Reparieren und Rumschrauben, weil ich da oft verdreht und über Kopf arbeite. So richtig störend ist es auch, wenn ich Musik mache, vor allem mit Kopfhörern. Die Noten und Texte drucke ich mittlerweile in Großschrift aus, A4 reicht dafür nicht mehr.

Vor dem Auftritt hatte ich die Idee, zum Optiker zu gehen und nach Kontaktlinsen zu fragen, damit ich in der Nähe scharf sehen kann (Noten), der Rest interessiert mich nicht, weil das sowieso im Dunklen ist (Publikum). Aber es gibt ja mittlerweile Bifokallinsen, mit denen man sowohl in der Ferne als auch in der Nähe sehen kann. Wunderwelt der Technik, ich bekomme mal wieder nichts mit.

Ich wurde vermessen und mittlerweile habe ich für mich passende Linsen, die ich schon länger tagsüber trage. Es ist gewöhnungsbedürftig, mehr kann ich dazu nicht sagen. Wer Hemmungen hat, am Augapfel rumzugrapschen, sollte es lieber lassen, denn das ist nötig. Aber das lernt man.

Mit den ersten Linsen bin ich gleich in die Stadtbücherei und in Buchhandlungen gegangen und habe es so sehr genossen, den Text ohne Brille lesen zu können.

Ich habe mittlerweile mal wieder zig Bücher angefangen und nicht zu Ende gelesen, ich bin mal wieder in der Phase. Aber ich gräme mich nicht mehr.

In der Stadtbücherei nehmen Unterhaltungsromane einen immer größeren Raum ein. Der eine hat mir gereicht, und war immerhin noch lesbar. Ich bin ja nicht grundsätzlich abgeneigt, neige zu romantischen Gefühlen und Gefühlen überhaupt, aber irgend etwas scheint doch grundsätzlich anders zu sein. Das nimmt einen unglaublichen Raum in diesen Geschichten ein. Romantische Gefühle sind ein echtes Spezialgebiet. Das ist Fachliteratur, Special Interest. Was für den einen Raumschiffantriebe sind, sind für manch andere Sehnsucht nach einer anderen Person.

Jetzt lese ich gerade, dass diese Romane in Bestsellerlisten auftauchen und über TicToc „rezensiert“ werden. Und über Blogs. Ich weiß, dass es etwas überheblich ist, das Wort in Anführungszeichen zu setzen, aber ich habe gerade bei einem dieser Romane nachgelesen. Die Rezensionen verweisen auf Blogs, die alle mittlerweile entfernt sind. Ich glaube, dass man diese Bücher und ihre Rezensionen und die kompletten Accounts komplett einer KI überlassen kann.

Es gibt diesen Begriff „Popcorn-Kino“ und die Redewendung „das Gehirn abschalten“, deshalb will ich das gar nicht allzu sehr werten, aber alles steht und fällt für mich mit der Dosis.

Wir haben mal in der Musikrunde unsere „Peinlich, aber geil“-Lieder mitgebracht. Man merkt schnell, dass die Grenzen da sehr fließend sind und man irgendwo schwankt zwischen „verbohrt“ und „naiv“. Verbohrt ist man, wenn man nichts Peinliches mag, naiv ist man, wenn man nur Peinliches mag. Und was peinlich ist, weiß man sehr genau, dafür hat man ein Gefühl. Fußnägel rollen sich hoch, Magen dreht sich um. Selbst die stumpfesten Menschen kann man da packen und werden windelweich.

Bild: Adobe Firefly