Choreografie und weshalb Tanz nur bedingt etwas mit Musik zu tun hat

Unsere Tanzlehrerin ist gut, wirklich gut. Sie hat es geschafft, unsere fünfminütige Choreografie innerhalb eines Jahres mit uns einzuüben. Wir sind eine gemischte Gruppe, Freizeittänzer mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Jeder Körper ist anders.

Jedes Jahr hat meine Schule eine Schulaufführung. Die Schule bietet Kurse in Ballett und Contemporary an. Die Ballettgruppen gehen runter bis zum Kinderalter. Im Contemporary ist man etwas älter. Das macht es etwas schwierig, ein Programm thematisch geschlossen anzubieten, weil das Alter und die Stile so unterschiedlich sind. Wir müssen uns in ein Kinderprogramm einfügen, aber egal, das hält mich jung.

Letztes Jahr hatten wir eine kurze, aber körperlich anstrengende Choreografie, die viel am Boden stattfand. Mit anderen Worten: Wir hatten viel Arbeit und wenig visuellen Effekt.

Das ist dieses Jahr anders. Wir werden mehr als Gruppe agieren und improvisieren und die synchronen Teile sind optisch interessant. Für das Publikum wird das gut, weil die etwas zu sehen haben und für uns ist es auch toll, weil wir uns als Gruppe sehr gut damit fühlen.

Jetzt muss ich mich die nächsten vierzehn Tage körperlich darauf vorbereiten und alles einüben. Heute haben wir drei Stunden intensive Probe.

Ich bin immer wieder erstaunt, dass ich Musik und Tanz so getrennt betrachte, dass ich fast schon zwischen den zwei Kategorien Liedern und Tanzmusik unterschiede, oder aber „eher auf Melodie und Text ausgerichtet“ und „eher auf Rhythmus“. Technisch hängt es natürlich zusammen, aber die Emotionen richten sich aus und legen den Schwerpunkt.

Ich merke in Gesprächen mit anderen über Musik und Tanz, dass die Motivation – der ganz persönliche, ursprüngliche Grund zu tanzen oder Musik zu machen – und die Emotionen ganz unterschiedlich gelagert sein können. Das ist nicht mehr nur Geschmack, das geht viel weiter. Da werden emotionale Bereiche angesprochen, die viel tiefer gehen. Wenn Menschen sich in Musik und/oder Tanz treffen, ist das fast ein Wunder.

Tanz hat mit Musik sogar verhältnismäßig wenig zu tun. Tanz ist Rhythmus und Bewegung. Es einfach nur angenehmer und sieht besser aus, wenn es schlüssig und einheitlich wirkt, wenn der Tanz zur Musik passt. Tatsächlich hat Tanz seine ganz eigene Bewegungssprache und folgt dem Rhythmus. Melodien, Tonhöhen, Skalen, Harmonien, Bezüge der Noten zueinander … das alles hat für den Tanz überhaupt keine Bedeutung. Gerade mal die Dauer eines erklingenden Tones hat Bedeutung. Das ist viel mehr Rhythmus als Musik. Modern Dance wurde ursprünglich nur zu perkussiven Instrumenten getanzt. Das Klavier gilt als perkussives Instrument.

Was wir im Tanz als elegant oder musikalisch wahrnehmen, sind Formen von Kraft, Energie und Bewegung eines physikalischen Körpers. Das kann durchaus dem entsprechen, was die Musiker machen, auch sie müssen sich körperlich so bewegen, dass die Musik in dieser Weise erklingt.

Sieht man sich Musiker ohne Ton an, würde man nie erraten könne, wie die Musik klingt, die sie spielen.

Es gibt Tanzstücke ganz ohne Musik.

Der Choreograf Andrew Winghart sagt, dass Tanz und Choreografie viel mit Architektur gemeinsam hat.

Dancing in the Street // Silent Music Video

Raw are the roots

Gestern habe ich mir ziemlich spontan eine Karte für den Stream der Premiere von zwei Stücken, die vom Nederlands Dans Theater getanzt wurden, gekauft. Den Stream kann man nur live verfolgen, was ich immer etwas schwierig finde, weil zuhause irgend welche Unterbrechungen dazwischen kommen können. Das ist der Vorteil am Theater. Türen zu, Ruhe, Smartphone aus.

Ich hatte aber Zeit und Lust, und mit dem NDT habe ich mich wieder etwas versöhnt, nachdem sie sich dann doch noch deutlich von Goecke distanziert hatten.

Auf deren Seite gibt es Infos und Videoschnipsel.

Das erste Stück war von Felix Landerer (aus Hannover), das zweite von Sharon Eyal & Gai Behar.

Felix Landerer kannte ich nicht, sein Stück hat mich sehr beeindruckt. Ein unglaublich schönes Stück, so elegant und kraftvoll, wie ich mir Tanz wünsche. Einfach wunderbar.

Sharon Eyal & Gai Behar kenne ich sehr gut und finde alles von ihnen toll. Behar hat darin Lyrics von Grundstück von Einstürzende Neubauten gesamplet und sogar lip sync von einem Tänzer sprechen lassen. Neubauten und Sharon und Behar … wie großartig. Einen wirklichen Bedeutungszusammenhang, den man analysieren könnte oder müsste, sehe ich nicht. Wie ich generell Tanz nicht analytisch, sondern assoziativ und gefühlt wahrnehme. Wenn ich etwas erkennend wahrnehme, dann die Bewegungs-Technik bzw. -Stil. Rein tanzanalytisch also. Das heißt nicht, das dahinter keine übergeordnete Idee steckt, sondern, dass diese Idee nicht das ist, was Künstler’innen wahrgenommen sehen wollen. Ich bin sowieso der Meinung, das man Botschaften immer im Text formulieren soll. Das ist das bessere Mittel und Medium. Geschichten sind nochmal ein anders Thema. Der moderne Tanz hat sich sozusagen vom Zwang der Erzählung befreit (parallel zur Malerei). Heute beschäftigt er sich in erster Linie mit Beziehungen.

Schön auch zu sehen, dass eine Tänzerin Knieschoner trägt. Auch vom Zwang der Kostümierung hat sich zeitgenössischer Tanz befreit. Die Gesundheit (also auch die körperliche Unversehrtheit) ist etwas, was zunehmend berücksichtigt wird, niemand sollte möglichst zu etwas getrieben, gedrängt oder gebracht werden, was er nicht möchte, ihm schadet oder unangenehm ist. Auch das ist zeitgenössisch.


Tanz im Fernsehen

Ich habe seit zwanzig Jahren keinen eigenen Fernseher, weshalb ich das, was nur ich sehen will und nicht die ganze Familie (und das ist sehr viel), bisher auf meinem Desktop-Computer-Bildschirm angesehen habe.

Das ist ein bisschen ungemütlich, deshalb habe ich gleich zugeschlagen, als meine Eltern fragten, ob ich einen ihrer alten haben will. Er passte genau in meine Reisetasche. Er ist nicht groß, aber groß genug.

Mit dem Firestick habe ich jetzt das volle Programm und Film- und Serien-Genuss. Herrlich.

Ich habe mir jetzt Marquee TV geholt und freue mich jetzt schon darauf, auf das riesige Angebot an Tanzaufzeichnungen zugreifen zu können. Ich brauche nämlich gerade dringend wieder einen Zugang zu meiner Begeisterung für Tanz. Es gibt noch genug Klassiker, die ich noch nie vollständig in Ruhe gesehen habe.

Buffy und Call the midwife müssen jetzt leider mal warten.

Ich freue mich schon auf heute Abend.

(Foto von Kevin Schmid auf Unsplash)


Die Macht der Kränkung

Was zur Hölle. Das liest sich wie eine Szene aus den Filmen, von denen man immer denkt, die Figuren seien überzeichnet. Marco Goecke beschimpft Tanzkritikerin und beschmiert sie mit mit Hundekot. Black Swan, Flesh and Bone, L’Opéra … die Figuren kommen nicht von ungefähr, aber hier liest sich das, als würde die Realität die Kunst imitieren. Realität und Kunst kann man nicht trennen, das eine gehört zum anderen.

Ich habe ja schon im Eintrag zum Tanzfestival bewusst keine Kritik geäußert und mich etwas sachlich drumherum gewurschtelt, aber an einem Stück hätte ich kaum ein gutes Haar gelassen. Autonomie der Kunst kann man deklamieren, aber dann sitzt man in einem Glaspalast in seiner eigenen Scheinwelt.

Was für ein Divenquark.


Tanzfestival

Sonntag waren wir auf der Abschlussveranstaltung der Tanzbiennale. Es ging drei Stunden, fand an zwei Orten statt, und jeweils waren vier Stücke zu sehen. Es war sehr gut und abwechslungsreich. Die Tänzerinnen und Tänzer waren alle großartig, die Stücke waren gemischt. Choreografie ist eine schwierige Kunstform, die sehr viele Elemente enthält. Dazu gehören Musik, Kostüm, eine übergeordnete Idee, eine gewisse Dramaturgie, Bewegungen, Körperformen und Beziehungen. Einzelformen bilden große Formen, Körper haben ein Verhältnis zum Klang und Figuren sind Menschen, Personen, manchmal Rollen. Das alles kann rund und schlüssig gestaltet sein, oder vielleicht ungewollt widersprüchlich und beliebig. Man kann absichtlich irritieren und diese Irritation in eine neue Sichtweise überführen oder einfach nur ratlos verwirren.

Herausragend fand ich C’est toi qu’on adore von Leïla Ka und Jane Fournier Dumet. Ein unglaublich sensibles und zugleich kraftvolles Stück. 2019 habe ich sie schon mal auf der Gala der Preisträger mit Pode Ser gesehen.

Außerdem beeindruckend waren die Stücke We Dance Pergolesi vom Kyiv Modern Ballet, Neid | Point von Sharon Eyal getanzt von der Gauthier Dance Company und das Stück von Ivan Perez und dem Dance Theatre Heidelberg Islands mit Chor.

Kurzfristig reingenommen wurde ein großartiges Solo (Teresa Curotti, Choreografie / Anna Lane, Tanz).

Wir haben viel gesehen, und wir haben sehr viel sehr Gutes gesehen und gehört. Das will ich mal grundsätzlich festhalten.


Clowns

Hofesh Shechters Clowns gibt es jetzt als Download.

We dance to know what it feels like not just to live, but to be alive.

https://hofesh.co.uk/

Meniskus

Ich habe einen Riss im Meniskus, dazu hier und da Zysten in der Umgebung. Beim Laufen merkte ich es zuerst, aber der Schmerz war so ungenau, dass man wahrscheinlich nicht viel gesehen hätte. Irish Dance hat dem Ganzen wahrscheinlich den Rest gegeben.

Das war’s mit Irish Dance, das war’s mit großen Sprüngen und mit dem Laufen.

Gestern habe ich mich bei der Hochschulgruppe verabschiedet. Ich habe die Cookies mitgenommen, die gut angekommen sind. Kein Wunder bei den Zutaten. Ich finde es sehr schade, die Gruppe zu verlassen, das waren sehr nette und interessante Menschen. Auf den Weihnachtsmarkt bin ich nicht mitgegangen.

Ich werde mich jetzt dem Sean Nós widmen, das ist recht gelenkschonend und wollte ich ja sowieso ursprünglich.

Als Therapie wurden mir Eigenblutspritzen angeboten. Die Kasse zahlt die nicht und kosten insgesamt sechshundert Euro bei fünf Spritzen. Die Alternativen sind eine Operation oder nichts tun.

Ich werde was tun. Ich werde jetzt durch schonendes Training stabilisieren und Nahrungs-Ergänzungs-Voodoo in Tablettenform zu mir nehmen. Das ist billiger.

Und ich werde natürlich einen ganz klare Linie ziehen, was die Belastung angeht. Keine kraftvollen Drehungen und Stöße mehr, also kein Laufen, keine Sprünge und kein Irish Dance. Gucken, ob sich das irgendwas regeneriert, sonst bleibt es dabei.


Kommen, um zu bleiben

Nachdem ich jetzt Bass und Gesang als Bereicherung empfinde, könnte Irish Dance ebenso etwas Ernstes werden. Ich habe ein besseres Gefühl als beim Ballett, was eigentlich nicht am Ballett liegt. Ich bräuchte nur anderes Ballett. Das umzusetzen wäre aber etwas aufwändig, auch wenn ich weiß, dass der Bedarf da ist. Vielleicht ist es einfacher zu wechseln. Im Irish Dance ist ja alles bereits vorhanden, das muss ich nicht erst erarbeiten.

Den Unterricht im Rahmen des Hochschulsports gibt eine Freundin von mir, die mich immer wieder um Rückmeldung bittet, was nicht heißt, dass ich so ein toller Rückmelder bin, sondern, dass sie so reflektiert ist. Sie macht es wirklich sehr gut, sie ist eine ganz hervorragende Lehrerin. Die Gruppe ist groß und extrem homogen. Man kommt nicht schnell voran, aber intensiv. Wir haben Spaß und ich glaube, es ist für viele ein ganz gutes Mittel, um aus sich raus zu kommen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Kraft und Potential hinter Zurückhaltung steckt. Egal, wie jemand auftritt, es sagt nichts darüber aus, was dahinter steckt, was noch möglich ist, was gewollt oder beabsichtigt ist, auch wenn es formal immer etwas schief bleibt und nie perfekt ist. Je älter ich werde, desto mehr genieße ich die Motivation an sich. Das bedeutet natürlich trotzdem, dass ich weiter trainiere und verbessere und darüber meine Grenzen und Möglichkeiten kennen lerne.

Der Unterricht im Turn- und Sportverein ist schon etwas anders. Alleine das Gebäude ist geradezu luxuriös. Der Unterricht ist für Anfänger und Fortgeschrittene, so dass wir nebeneinander üben. Fortgeschrittene ist noch untertrieben, da sind absolute Profis dabei, was das Niveau gleich mal in schwindelerregende Höhen hebt. Man muss schon Spaß an Schule und Sport haben, um Irish Dance zu mögen. Tanz ist es auf jeden Fall, aber nach eindeutigen, schulischen Vorgaben, mit denen man später in den Wettbewerb geht. Wobei der Begriff „Sport“ beim Tanzen eingeschränkt werden muss, weil es kein Maß gibt, dass sich in Zahlen ausdrücken lässt. Das ist auch gut so, denn Musikalität ist nicht messbar, auch wenn es Tendenzen zu „schneller, weiter, höher“ gibt. Ich sage nur: Gitarrensolo. Sobald diese Tendenz sich zeigt, wird es Mist. Und obwohl ich immer nur Mittelmaß bin, kann ich mich der Attraktivität solcher Maßstäbe nicht vollständig entziehen. Deshalb ist Yoga als ernsthafter Weg für mich nichts. Für mich ist das reine Dehn- und Entspannungsübung. Ich bin leistungsgetrieben ohne die Höchstleistung jemals erbringen zu können. Nicht einmal eine Hochleistung. Eher eine Mittelflachleistung. Ein etwas besserer Durchschnitt. Das ist kein Impostersyndrom, dass ist eine realistische Selbsteinschätzung. Im Gegenteil empfinde ich das, was manche Menschen an den Tag legen, eher als Größenwahn. Es ist wohl alles eine Frage der Perspektive.

Jetzt fehlt mir nur noch eine Sache, um mich im Irish Dance einrichten zu können: Ich hätte gerne eine feste Schule. Beim Hochschulsport muss man blitzschnell sein und sich jedes Mal neu anmelden (Was ist, wenn ich in den zwei Sekunden, in denen die Anmeldung läuft, keine Zeit habe?!). Ob der Kurs im TSV weiter läuft, weiß ich nicht. Ich habe die Gruppenstruktur noch nicht so ganz verstanden, ich glaube, es hat sich hier im Raum einfach noch keine feste Delegation mit Schülern und Schülerinnen und einem festen Ort gebildet.


Turn- und Sportverein

Zusätzlich zum Hochschulsport lerne ich Irish Dance im Turn- und Sportverein. Ich habe die Struktur noch nicht ganz verstanden. Es gibt eine Irish Dance-Gruppe, deren Mitglieder(?)/Schülerinnen(?) hier an unterschiedlichen Orten Unterricht geben. Es ist ein für mich noch undurchschaubares Netzwerk.

Die Gruppe im Sportverein ist noch undurchschaubarer für mich. Es gibt vier Profis, zwei Anfängerinnen und ich. Die Nationalitäten sind beim Tanzen auffällig bunt gemischt.

Es gibt also in der Gruppe drei Personen, die Unterrichten können und so kann jeder in seinem Tempo lernen. Mir ging das alles ein bisschen zu schnell, mir schwirrte der Kopf, und ich musst für mich erst einmal klar bekommen, worauf ich mich am besten konzentriere. Das sage ich jedes Mal. Es sind leider fünf Dinge gleichzeitig, auf die ich mich konzentrieren muss. Mal kann ich sie isolieren, mal muss ich die kombinieren.

Der Unterricht geht zwei Stunden und hinterher war ich ziemlich derangiert. Es ist eine unglaublich schnelle und für mich völlig ungewohnte Bein- und Fußarbeit.

Ich nehme jetzt drei Monate lang zweimal die Woche Irish Dance-Unterricht und dann muss ich Bilanz ziehen. Das hängt von den Menschen ab, von mir, von vielem.