Moving Out Loud

Letzten Samstag waren wir bei Moving Out Loud von Britt Hatzius, einem Tanzstück im Dunkeln. Das Stück war rein akustisch. Zu Beginn setzten wir eine Augenmaske auf und wurden auf die Bühne geführt. Auf der Bühne wurde uns ein Platz zugewiesen, der durch einen zwei Meter langen haptischen Streifen auf dem Boden markiert war. Drum herum waren die Lautsprecher positioniert.

Das Stück basiert auf der Unterrichtsmethode von Krishna Washburn, einer blinden Tänzerin, die eine Ballettschule für Blinde leitet.

Orientierung

Es wird schnell deutlich, wie wichtig es ist, sich akustisch und haptisch zu orientieren und sich ein Bild vom Raum und den Objekten zu verschaffen. Ein akustischer Raum unterscheidet sich von dem Raum, den wir sehen. Der Streifen auf dem Boden war die wichtigste Orientierung, an der der ich fest hielt wie an einem Rettungsring.

Beschreibung, Bewegung, Gefühl

Die Aussagen: „Es ist nicht wichtig, wie ihr ausseht“ oder „Es ist wichtig, wie es sich für euch anfühlt“, bekommt man auch als Sehender zu hören, kann sich aber davon nur schwer lösen. Man weiß es zwar und würde die Aussagen auch bestätigen, aber das Bild rückt sich immer wieder in den Fokus, man kann es nur schwer ausblenden, vor allem, wenn der Raum verspiegelt ist und man sich ständig sieht.

Wenn man in vollkommener Dunkelheit die Instruktionen hört, dann merkt man schnell, dass auch sehend viel gesprochen und erklärt wird. Es wird auch im herkömmlichen Unterricht sehr viel mit Bildern gearbeitet, die das Gefühl und die Position des Körpers im Raum beschreiben.

Die Unterscheidung der Instruktionen sind geringer als ich dachte. Man kann einer Ballettstunde durchaus mit geschlossenen Augen folgen, wenn man eine sichere Orientierung hat. Es war mir sehr vertraut.

Wenn man selbst tanzt, tanzt man für sein Gefühl. Für das Aussehen tanzt man nur für andere. Was auf der Bühne oder auch im Tanzraum passiert, ist reines Körper-Gefühl. Das Visuelle ist nur für das Publikum bedeutungsvoll. Choreografie ist eine visuelle Kunst.

Das Stück war gut, um sich in die Lage blinder Tänzerinnen zu versetzen, insofern fand ich es sehr interessant.

2 Antworten zu „Moving Out Loud“

  1. Das erinnert mich an ein Erlebnis vor vielen Jahren.

    Ich hab mal einen Vortrag von jungen Designern gehört, die für Blinde Comic-Bücher entwickelt hatten. Die Zeichnungen wurden haptisch auf Platten geätzt, sodass man sie betasten konnte.

    Ein überraschender Moment für sie (und mich) war: von Geburt an Blinde kennen die Fluchtpunkt-Perspektive nicht. Für sie ist eine Tür immer grösser als eine Person, egal, wie weit weg die Tür von der Person ist.

  2. Ah, interessant. Eine blinde Tänzerin hat sich eine Vorstellung vom Raum verschaffen, indem sie Geräusche gemacht hat. Die Informationen des Schalls nimmt sie sehr körperlich wahr. Entfernungen und Größen scheinen eine ganz eigene Bedeutung und Form zu haben.

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