Categories: , ,

Auf die 90er blicke ich mit gemischten Gefühlen zurück. Ich habe Freunde, die ein bisschen jünger sind, und ein ganz anderes Gefühl aus dieser Zeit mitbringen und heute noch davon zehren. Im Alter von achtzehn Jahren herum ist die mediale Umgebung sehr prägend. Ich habe 80er-Freunde, 90er- und Nuller-Freunde.

In den 90ern habe ich studiert und war damit beschäftigt, finanziell über die Runden zu kommen, irgend einen vernünftig Ausblick auf mein zukünftiges Leben zu haben und nebenbei das Leben zu genießen. Manches habe ich mitgenommen, aber vieles lief an mir vorbei bzw. passierte einfach woanders. So blieb bei mir immer ein Gefühl von Fremdheit zurück. Ich glaube, ich hätte es anders erlebt, wenn ich in Hamburg geblieben oder nach Berlin gezogen wäre, aber ich bin nach Heidelberg gezogen. Ich lebe hier seit dreißig Jahren, habe hier Freunde, alte und neue, und Familie. Mein persönliches Umfeld ist ein privates Umfeld, und in den 90ern fing die mediale Vernetzung gerade erst an. Die Technik war Thema, weniger der Inhalt. Wir zockten Doom, schrieben unsere Arbeiten mit Word auf DOS und es gab vereinzelt die ersten Apple-Fans. Der Krieg in Jugoslawien hat unseren grundsätzlichen Pazifismus in Frage gestellt. Man war froh, wenn Republikaner, Kühnen und Brandanschläge nur ein Thema in den Nachrichten blieben, was nur eine Art von Verdrängung war.

Wie gesagt, kann ich schwer sagen, wie es mir in den 90ern ging. Die Ereignisse haben ja nicht mein Leben plötzlich umgekrempelt, sondern schleichend verändert.

Genau an dem Punkt hat mir Jens Balzers No Limit sehr präzise und reich an Informationen gezeigt, welche Art Prozessen das waren. Mit seinem Buch blicke ich nicht zurück auf mein Leben, sondern zurück auf die Ereignisse, die ich nur am Rande mitbekam.

Ich bin ein neugieriger und aufgeschlossener Mensch, aber auch meine Aufnahmefähigkeit und meine Energie sind begrenzt, und in den 90ern ging mir vieles einfach zu schnell. Ich brauche Verarbeitungszeit.

1993 hat Moby den Track Thousand veröffentlicht, der ins Guiness-Buch der Rekorde als Single mit den schnellsten BPM gelistet wurde: 1.015 BPM.

Danke, Jens Balzer, dass ich das alles endlich mal nachlesen kann, was in der Zeit eigentlich passiert ist. Das Buch kommt gerade zur rechten Zeit, um rückblickend auf die letzten dreißig Jahre zu schauen. Es ist sehr erhellend.

Ich glaube, ich liege nicht ganz verkehrt, wenn ich, wie hier schon beschrieben, das Gefühl habe, dass Computer und Politik in den 90ern zunehmend die Prozesse bestimmt haben, und es in der Musik-Kultur einen gewissen Höhepunkt am Anfang gab, aber dann zunehmend unwichtiger wurde. Dort passierte nichts wesentlich Neues, weder musikalisch noch inhaltlich. Man hatte ja auch genug damit zu tun, mit Cubase-Plugins herumzuspielen. Musik wurde zunehmend ein Rückzugsort, Clubmusik verlagerte sich in die Wohnzimmer, Easy Listening und Fahrstuhlmusik waren kein Schimpfwort mehr, 2001 hieß es: Quiet Is the New Loud.

Ich habe schon Das entfesselte Jahrzehnt mit Begeisterung gelesen. Irgendwann lese ich noch sein Buch über die 80er.


Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert