Ich wollte eine Transkriptionssoftware testen und suchte auf Youtube einen langen Sachvortrag. Ich hatte nur „Vortrag“ als Suchbegriff eingegeben. Ich klickte auf Philipp Huebls Vortrag an der UDK zum Thema Bullshit-Resistenz, den dritten Eintrag im Suchergebnis. Ich hörte eine Zeit lang zu und dachte, was für ein kluger, gut redender Mann das doch ist.
Jetzt habe ich mir die vollen zweieinhalb Stunden zur Sondersitzung „Gendern“ angehört und bin sehr beeindruckt und begeistert. Was ich in den letzten Jahren zum Thema gelesen und selbst erlebt habe, war nur so ein vager Gedanke, immer mit dem Ergebnis, dass das Ganze nicht schlüssig ist, widersprüchlich ist, formal nicht sauber durchführbar ist, ich zweifele, dass das erreicht wird, was man möchte, ich zweifele, dass die Effekte, die man gerne hätte, tatsächlich nachweisbar sind. Vor allem aber habe ich in Gesprächen mit Frauen gemerkt, dass die Verständigung nicht besser wird. Niemand fühlt sich nicht angesprochen oder auf den Schlips getreten, wenn nicht gegendert wird. Im Zweifelsfall wird nachgefragt.
Wenn jemand zum Frisör geht, ist das Geschlecht egal. Männer in meinem Umfeld gendern gar nicht. Das Geschlecht hat nur in seltenen Fällen eine Bedeutung, aber dann hat es auch eine Bedeutung (Urologe, Frauenärztin, Therapeutin. „Ich hätte lieber eine Frau als Therapeut“ ginge allerdings auch. Niemand würde darunter verstehen, dass die Frau erst ein Mann werden muss). Die Zweifelsfälle, in denen man kurz stocken würde, sind selten, bis kaum vorhanden. Wenn jemand „die Preisträger“ auf die Bühne bittet, ist es vollkommen egal, was man sich da gerade vorstellt. Man wird schon gucken, wer da auf der Bühne steht, und die Gruppe dürfte garantiert anders aussehen als das, was man sich vorgestellt hat. Rote Harre, Strubbelhaare, helle Haut, Kniestrümpfe, Piercing an der Nase, auf Krücken … völlig egal.
Immer wenn in meinem Umfeld gegendert wurde oder ums Gendern ging, führte es zu Missverständnissen und manchmal auch falschen Vorstellungen. Kein Mensch würde in den Nachrichten sagen: „Über den/die Täter:in ist noch nichts bekannt“. Es macht vieles einfach nur schief.
Beispiele aus meinem Umfeld, die mich stutzig gemacht haben
Beispiel Eins: Eine Bekannte erhält als Kritik zu ihrem Vortrag von einer Studentin, dass sie nicht gegendert hätte. Auf die Rückfrage, ob es Rückmeldung zum Inhalt gäbe, bekam sie keine Antwort. An ihrem Vortrag war weder inhaltlich noch sprachlich etwas auszusetzen. Das ist nicht in Ordnung, fand sie. Völlig zurecht, finde ich. Gendern hat in der wissenschaftlichen Kommunikation frei zu bleiben und darf kein Kritikpunkt werden. Die Bekannte war ziemlich sauer und fand das unmöglich. Sie ist eine freundliche, sehr nette Person, die um Verständnis bemüht ist. Was mal gut gemeint war, ist anmaßend geworden. Hier wird persönlich etwas einfordert, was nicht sachlich konsequent oder eindeutig umgesetzt werden kann.
Beispiel Zwei: Im Zug wird durchgesagt „Wenn sich ein Arzt im Zug befindet, möchte er bitte in Wagon drei kommen“. Zwei Minuten später laufen drei Personen an uns vorbei, zwei Männer und eine Frau. Alle fühlten sich selbstverständlich angesprochen, die eine Approbation als Arzt oder Ärztin haben.
Beispiel Drei: Jemand erzählt mir, dass sich fünf Professor:innen vorgestellt hätten. Oh, denke ich, da muss wohl mindestens einer oder eine queer gewesen sein. Es waren aber nur drei Männer und zwei Frauen.
Ich merke, dass Gendern aus Höflichkeit, wie ich es bisher tat, keinen Sinn macht. Gendern verschiebt und verzerrt sogar das Verständnis, führt aber nicht zu mehr Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung. Im Alltag habe ich es so gut wie nie gehört, es hat sich nicht eingebürgert und hat sich nicht in die Alltagssprache integriert. Es scheint mir nur noch das sprachliche Signal einer akademischen Kleingruppe zu sein.
Das ist wie mit dem Wort „Der Kaffee“. Das kann alles Mögliche heißen, vom weiblich konnotierten Milchkaffee bis zur neutralen Bohne hin zum dreifachen Espresso für maskuline Typen. So verstehe ich auch das Wort „Arzt“ oder „Brot“. Das Wort „Brot“ liebe ich. Es ist so schön und eindeutig, aber jeder stellt sich darunter etwas vollkommen anderes vor, und beim Bäcker würde man sich auf den Arm genommen fühlen, wenn ich sage: „Ich hätte gerne ein Brot“. Wenn ich sage „Ich gehe zum Arzt“, fehlt nicht an Information das Geschlecht der Person.
Philipp Huebl erläutert und erklärt das alles sehr ausführlich und detailliert, was das Gendern aus wissenschaftlicher und sprachtheoretischer Sicht bedeutet. Vor allem, was man aufgrund der Untersuchungen sagen kann.
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