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Manche Songs, die ich cover, sind wie Pickel, die ich ausdrücken muss. Die schwelen die ganze Zeit vor sich hin, und wenn ich endlich die Zeit finde, mich mit der E-Gitarre vor’s Mikrofon zu stellen, braucht es noch mal fünfzehn Takes, die mich an den Rand der Verzweiflung bringen. Wenn ich dann endlich einmal fehlerfrei durchgespielt habe, denke ich nur: raus damit, das muss so reichen.

Ein neuer Versuch hätte alte Fehler verbessert, aber neue gemacht. Oder schöne Teile der alten Versionen wären nicht mehr drin gewesen.

Ich nehme live auf, in einem Take. Das macht mir am meisten Spaß, also müssen Fehler oder Schiefes drin bleiben, selbst wenn sie mich selbst stören.

Es wäre viel einfacher und fehlerfreier, wenn ich Gitarre und Gesang gesondert in zwei Takes aufnehmen würde. Das Ergebnis würde viel sauberer klingen. Jetzt, da ich kein Bild habe, wäre das auch kein Problem, den Unterschied, wie der Song zustande gekommen ist, würde man nicht merken. Dann hätte ich den Song aber nicht mehr live gespielt. Live einspielen ist der ganze Spaß an der Sache!

Zum Song: Ich liebe ihn. Ich habe ihn erst jetzt entdeckt und von Anfang an geliebt. So wenige Sätze so einfach und brillant auf den Punkt gebracht. Bildreich genug um sofort verständlich zu sein. Die Musik druckvoll genug, um Wave zu sein. Die Musik vertrackt genug, um nicht simpel zu sein. So roh und so anspruchsvoll, wie die Musik der Jahre 78-80 war. Joe Jacksons I’m the man erschien 1979.

1979 war ich zwölf. Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals gefühlt und gedacht habe, und ich weiß es deshalb, weil ich von Musik umgeben war. Höre ich die Musik, weiß ich es wieder. Ein Zwölfjähriger, dessen Gehirn in der Musikwelt der Erwachsenen baden durfte. Danke, Musik. Danke, Musiker und Musikerinnen.

Nur mit einem Begriff hätte ich damals noch nichts anfangen können „Love“. Das Irritierende des Beginns der Pubertät war nicht, dass mein Körper sich anfing zu verändern, sondern, dass mein Körper sich noch nicht genug anfing zu verändern, ich aber schon wusste, was Sex, Küssen, Fummeln und Verlieben ist.

Eine hochdynamische Zeit voller Widersprüche und Ungereimtheiten in mir und in der Welt. Ich fand’s extrem aufregend. Grün hinter den Ohren und dann sowas wie „Another Brick in the Wall“ hören. Grün hinter den Ohren und dann mit den Schwestern „The Rocky Horror Picture Show“ abfeiern.

Wenn ich denke, dass das heute noch genau so ist und sogar noch intellektuell anspruchsvoller, dann frage ich mich, wie heute Zwölfjährige mit der Diskrepanz von Körper und Verstand klarkommen. Vielleicht nur, indem sie wieder klaren Klischees folgen. Schubladen zimmern. Selbstorganisation als Apothekerschrank oder Sideboard. 12 Rules for Life.

Vierzig Jahre später höre ich Different For Girls, und es ist, als sei kein einziger Tag vergangen. Ich lebe nicht in der Zeit, ich habe nur ein empathisches Gedächtnis.

Raus damit, das muss so reichen.

Ich wollte erst „Live from the bedroom“ in „Live from the rich kids bedroom“ umbenennen. Einerseits fände ich es sehr lustig, andererseits ist die Sache leider zu ernst. Wenn ich zwölf wäre, würde ich es so nennen, mit siebenundfünfzig verkneife ich mir den Zynismus.


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