Die Welt beschreiben

Im Biologiestudium habe ich gelernt, dass man erst einmal beschreiben muss, was man vor sich hat, um es zu erkennen und darüber sprechen zu können. Generationen vollziehen diesen Schritt des Beschreibens beim Lernen immer wieder von vorne. Das kostet Zeit und Energie. Manche sparen sich das und halten Kindern Vorlesungen und Vorträge. Ich auch.

Die Hirnforschung hat gezeigt (und damit meine ich auch die jahrhundertalte Denkbetrachtung in der Philosophie oder Pädagogik oder Psychologie), dass diese Komprimierung von umfangreichen Informationen in einfachen Bildern und Begriffen, die schnell transportiert und kommuniziert werden können, uns überhaupt in die Lage versetzen so zu denken, wie wir denken. Schnell, flexibel und bestätigend zu denken ist uns eigen und unser Vorteil. Blöderweise vergessen wir oft das „flexibel“. Braucht man das überhaupt oder kostet das nur unnötig Zeit und Kraft? Das muss jeder für sich selbst beantworten. Das ist individuell verschieden. Ich denke aber, wir brauchen das wieder mehr. Und ich beobachte um mich herum, dass Menschen wieder mehr ihre Umwelt befragen und Begriffen nicht einfach hinnehmen und sich einfach etwas sagen lassen.

Ich kann mit einem Kind spazieren gehen und die Dinge benennen. Wir geben ihnen einen Namen und denken und sprechen mit diesem Namen. „Das ist eine Eiche“. Als sei damit schon alles gesagt.

Menschen haben immer die Natur betrachtet, gezeichnet und gemalt. Sie haben beobachtet, sie haben angeschaut. das Bild hat ihnen bestätigt, was sie sehen. Der Name, das Wort, war zweitrangig. Deshalb sprechen wir von „Buchwissen“ und meinen damit Halbwissen.

Ich habe im Laufe des Lebens meine Naivität vermisst, die Fähigkeit zu erleben. Alles schien mir bekannt und für jedes und alles ein Begriff gefunden. Das fühlt sich erwachsen und reif an: für alles ein Wort zu haben und nur noch in diesen Überbegriffen zu sprechen.

Mein Gehirn hat dadurch an Flexibilität verloren. Mein Denken wurde eingleisig. Schlimmstenfalls landete ich in einer Sackgasse. Ich musste wieder lernen zu erleben, zu betrachten, zu beschreiben, und dann das zu kommunizieren, in Texten und Gesprächen. Ich habe immer geschrieben und mich unterhalten, aber die Gespräche wurden funktionaler, ich musste aufpassen, was ich sage. Ich bin berufstätig und habe Kindern, Paargespräche wurden Analysegespräche.

Beim Tanzen habe ich eine Kommunikation, eine Flexibilität und ein Verständnis erlebt (und erlebe es immer noch und immer wieder), das mich umhaut, sprachlos macht oder sprachlos bleiben lässt. Tanzen gab mir die Freude an meiner kindlichen Erlebnisfähigkeit zurück. Wir reden auch darüber, und das ist ein anderes Reden. Ich rede wieder mit Freunden über Musik, ich mache Musik, wir reden darüber, was wir da machen. Ich rede über den Tanz. Ich rede mit völlig unterschiedlichen Menschen über Aufführungen im Theater, die wir gemeinsam ansehen.

Und ich schreibe hier im Blog.

So sind wohl die Phasen: Kindheit (Erleben), Jugend (Umgestalten, Experimentieren) … und dann? Reife? Alter? Erwachsensein? Für alles ein Wort haben und über alles eine Meinung? Sich seiner selbst sicher sein und immer wieder rück- und neu versichern? Experimentieren, Betrachten und Beschreiben ist keiner Entwicklungsstufe zugeordnet, es ist eine Fähigkeit, die man verlernt oder immer wieder anwendet und beibehält.

Schreiben zu lernen hieß für mich beschreiben zu lernen, Wort zu finden für sehr komplexe Situationen und Gefühle. Ich habe für den Moment klare Gedanken und Aussagen gefasst, die mich zum Handeln uns Sprechen bewegten. Schreiben ist Training und Übung, es ist ein Versuch, ein Ausprobieren. Ich probiere mich aus, ich probiere meine Gedanken aus.

Ich lese das immer wieder in Blogs, dass es anderen auch so geht. Und was ich immer bewundere, was ich nicht gut kann, ist Texte und Aussagen so stehen zu lassen. Auch das ist Freiheit: seine eigenen Raum kennen zu lernen, immer wieder neu zu erforschen, sich ausprobieren.

„Versuch, irgend etwas Vernünftiges zu erkennen“ könnte dieses Blog auch als Untertitel haben.

Wir reden bis heute vom Tintenfisch und es stört niemanden, dass es kein Fisch ist. Kultur ist so herrlich krumm und schief.

, ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert