Garp

Wie man auf dem Foto sieht, habe ich das Buch schon sehr lange, allerdings nie gelesen. Schwierig bei Büchern, deren Verfilmung sich so sehr eingeprägt haben. Ich kann dann schwer wieder zurück, und mich neu auf den Text einlassen.

Ich habe nicht erwartet, dass die Erzählung viel umfassender als der Film ist und weitaus intensiver die sexuellen Aspekte offenlegt. Irving denkt sich ein, buddelt aus, bringt hervor und fügt sie zu immer wieder neuen, wilden Konstellationen zusammen. In der Literatur war das ja auch nicht unüblich. Ich weiß es nicht, aber diese Themen, dieses Thema begegnen mir heute viel visueller und an der Gesellschaft und an allen anderen als Individuum gemessen. Einzelne Autoren und Autorinnen erlauben sich solche radikalen Blicke in dieser Form nicht mehr ganz so frei und umfassend. Literatur braucht Figuren, aber im Leben hat man mit Menschen zu tun. Das Tolle an Irving ist, dass immer mit viel Liebe und Menschlichkeit schreibt. Er ist ein wunderbar radikaler Autor mit Fingerspitzengefühl und Sensibilität. Eine tolle Mischung, und deshalb schätze ich ihn.

Mit dem Hörbuch von Rufus Beck hatte ich echte Probleme. Gib mir möglichst wenig Input, denn mein Gehirn macht sowieso mehr als mir lieb ist, und unter Umständen prallen unsere Vorstellungen aufeinander. Wenn mir akustisch eine Figur vorgelegt wird, die nicht meinen Vorstellungen entspricht, kann ich mir das nicht lange anhören. Mir klingt Beck zu albern. Er ist für Kinderbücher gut, aber wenn er eine transsexuelle Figur klingen lässt wie eine Travestiefigur aus dem Abendprogramm im Fernsehen vor dreißig Jahren, dann ist das kaum zu ertragen. Das fügt dem Buch einen hässlichen, albernen Witz hinzu, den das Buch nicht hat. Überhaupt: Wenn Männer Frauen sprechen: Lasst es. Sprecht bitte mit normaler Stimme. Ich habe mir ab und zu die englische Version angehört, aber der Sprecher klingt auch komisch, wenn er Frauen spricht. (1)

Man merkt Irving an, dass er mit einigen Auswüchsen des Feminismus nicht einverstanden war, vor allem, wenn nicht alle Beteiligte gefragt werden und sich in Theorien und Konstrukten verrennen. Fast sein Credo: Hört euch zu, sprecht miteinander! Und natürlich ist ihm die unabhängige Stellung der Literatur wichtig. Zu recht! Deshalb lese ich! Das ist die Freiheit des Denkens und der Sprache.

Garp lehnte Einladungen, an Colleges Vorträge zu halten und die eine oder andere Seite sogenannter Frauenfragen zu vertreten, höflich ab; er wollte auch nicht über seine Beziehung zu seiner Mutter und über die „Geschlechterrollen“ sprechen, die er verschiedenen Gestalten seiner Bücher gab. „Die Zerstörung der Kunst durch Soziologie und Psychoanalyse“, nannte er es.

Dass die Helen-Garp-Konstellation der romantischen ChatGPT-Konstruktion nicht ganz unähnlich ist, finde ich ziemlich interessant und amüsant.

1: Man hat übrigens festgestellt, dass Frauen mittlerweile tiefer sprechen als früher, weil sie dann ernster genommen werden. Eine Kollegin hat mir erzählt, dass sie das ganz bewusst gemacht hat, und ich ich kennen einen Mann mit eigentlich hoher Stimme, der das ebenfalls bewusst gemacht hat. Michael Jackson hat genau das Gegenteil gemacht (ernsthaft!). Die Stimmen der Frauen in alten amerikanischen Filmen ist viel tiefer bzw. hat viel mehr tiefe Frequenzanteile als die deutschen Synchronstimmen, ist mir mal aufgefallen. Die Schauspielerinnen konnten beides und haben ihre Stimme in einem viel umfangreicheren Spektrum eingesetzt. Man hört generell in Originalfilmen viel mehr akustische Nuancen.

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