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Der Begriff „toxisch“ für die Beschreibung von Beziehungen wurde aus der Pharmakologie übernommen, um Gewalt, Missbrauch und Abhängigkeit zu benennen. Man dramatisiert damit etwas künstlich, was real schon schlimm genug ist. Es klingt nicht nur schief und falsch. Er trifft auch die Sache nicht. Was in diesen Beziehungen passiert, ist etwas völlig anderes. Gift bewirkt etwas vollkommen anderes. Das wäre in etwa so als würde ich eine Art von Beziehung als „lecker“ bezeichnen.

Der Begriff ätzend wird in der Umgangssprache auf eine ähnliche Weise verwendet. Unsere Eltern können ein Lied davon singen, wie hoch der pH-Wert unserer Umgebung von uns Jugendlichen damals eingeschätzt wurde. Offensichtlich waren wir vollkommen übersäuert. Der Begriff passte für uns, war aber eindeutig als Jugendsprache zu erkennen. „Toxisch“ begegnet einem plötzlich überall.

Giftig ist etwas, wenn ein Stoff auf den Körper so einwirkt, dass seine Gesundheit ernsthaft in Gefahr ist und man davon sterben kann. Gift ist potentiell tödlich. Ich habe ein Problem damit, wenn das Drama, das Bild zu sehr das bestimmt, was ich mit mehr professioneller Distanz betrachten würde. Je genauer und präziser ich die Sache beleuchte, um so besser.

Beziehungen sind komplex, bleiben komplex und sie werden es immer sein und aus der Nummer kommt man nicht raus.

Warum müssen wir etwas so dermaßen überbetonen, wenn doch bereits die geringste Form nicht akzeptiert ist? Wenn das Geringe als nicht mehr wichtig genug erscheint, dann haben wir hier ein Problem. Dann muss man nicht sprachlich aufrüsten.

Es ist eben genau der Punkt, das man etwas nicht möchte, obwohl es kein Drama ist. Das ist für mich der Punkt. Es ist genau das, was wir vielleicht als Übersensibilität wahrnehmen, weil man offensichtlich das Maß verloren hat und nicht das Geringste als Regel hat. Sowohl die Übersensiblen sind verantwortlich für ihre eigene Sensibilität als auch die Groben für ihre mangelnde Rücksicht. Es gehören immer zwei dazu und es muss nicht immer gleich ein Drama sein, damit man die Hoffnung hat, dass sich auch tatsächlich etwas ändert. Ändert sich nichts, muss man dringlicher werden, nicht dramatischer.

»›Toxische Beziehung‹ ist kein wissenschaftlicher Begriff«, stellt etwa Christian Roesler klar. Er ist Paartherapeut und Professor für klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg und findet, die Bezeichnung vermittle in vielen Fällen ein falsches Bild davon, was passiert, wenn Beziehungen schieflaufen. »Anders als der Begriff ›toxisch‹ suggeriert, gibt es in den allermeisten Fällen nicht einen Partner, der sein Gift verströmt und im Alleingang die Beziehung zerstört. Dysfunktionale Beziehungen sind immer ein Zusammenspiel.«

Gift für die Seele


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