Nachdem wir letztes Jahr unseren Kater einschläfern lassen mussten, hinterließ er bei den Kindern eine große Lücke. „Ich will keine neue Katze“ war meine Standardantwort, mit der ich jede Diskussion im Keim erstickte. Das Kind scrollte sich stundenlang durch die Kleinanzeigen und bei jedem zweiten Foto rief sie:
„Oh, guck mal, wie süß!“
Ich kenne Katzen und Katzenbilder, das Internet ist voll davon, deshalb ging ich nicht hin, um mir die Katzen anzusehen. Bis ich es dann doch mal tat und
„Oh, Gott, ist die süß!“
rief. Ich nahm ihr Handy, scrollte die Kleinanzeigen durch und rief bei jedem dritten Foto:
„Oh, guck mal, wie süß!“
Die Familie suchte eine Katzenzüchterin, die gerade einen Wurf hatte (Britisch Kurzhaar-Mischlinge), und wir besuchten sie, um uns die Katzen anzusehen. Zwei waren noch zu haben. Die frisch geworfenen Katzen, die wie kleine quirlige Kletten an unseren T-Shirts hingen, waren zwei Brüder, und es war natürlich unmöglich, sie auseinander zu reißen. Es war unverhandelbar, dass wir beide nehmen. Ich bin nicht inkonsequent, ich bin nur ziemlich entschieden in meinen sehr unterschiedlichen Absichten.
Im Sommer letzten Jahres holten wir sie zu uns und richteten ihnen das Erdgeschoss als Gehege ein. Sie waren nur schwer davon abzuhalten nach draußen zu rennen. „Curiosity killed the cat“ dachte ich ständig bei den beiden. Im Frühjahr ließen wir sie kastrieren und endlich nach draußen. Abends holten wir sie rein, indem wir sie mit ihrem Abendessen lockten. Bei dem einen funktionierte das nicht immer. Er blieb auch als erster über Nacht alleine draußen. Er war ein neugieriger Streuner, der nicht zu halten war.
Er war auch derjenige, der als erster Mäuse und Vögel in die Wohnung brachte, während sich sein Bruder mit Insekten begnügte. Eine Schwalbe musste ich mit einem Schlag mit dem Kehrblech von ihrem Leid befreien. Die Schwalbe wollte ich dem Kind zuliebe begraben und deponierte sie unter der Hecke für später. Als ich nach Hause kam und die Schwalbe ins Loch legen wollte, war der Vogel weg. Die Katze hatte den ganzen Tag über mit dem toten Vogel gespielt, im Haus und draußen. Ein anderes Mal trug ich den Kater mit Maus im Maul nach draußen. Ich ersparte mir psychologische Lobeshymnen oder pädagogische Unterweisungen.
Letzte Woche kam er wieder zwei Nächte nicht nach Hause. Drei. Vier. „Wenn Katzen nach drei Tagen nicht nach Hause kommen, sind sie tot“ lautete eine Faustregel, die ich noch von früher kannte. Natürlich kann er ein neues Zuhause gefunden haben oder irgendwo eingesperrt sein. Möglich, aber ziemlich unwahrscheinlich. Das war keine Katze, die sich einfach irgendwo gemütlich einnistet, der hat einen Bruder, mit dem er zusammen lebt, und immer auf Achse ist.
Wir bekamen den Tipp, auf Facebook auf der Gemeindeseite einen Post zu veröffentlichen, wollten schon Zettel aufhängen und draußen suchen. Ehrlich gesagt, hielt ich das für hoffnungslos. Ich rief die öffentliche Seite der Gemeinde auf und sah sofort den Post mit dem Hinweis, dass eine überfahrene Katze gefunden wurde. Eine Foto bestätigte, dass es unser Kater war, er wurde an der Hauptstraße überfahren, eine Stelle am Bauch wurde auf dem Foto schwarz übermalt. Ich hatte vergessen, die gechipten Katzen zu registrieren, was ich gleich nachgeholt habe. Die Katze wurde auf einen Bauhof gebracht und nach einigen Telefonaten fuhr ich heute morgen mit dem Rad hin, um sie zu holen. Unser Auto ist immer noch kaputt. Die Mitarbeiter im Rathaus und auf dem Bauhof waren sehr nett und voller Verständnis und Mitgefühl. Die Katzen werden in einer Tiefkühltruhe aufbewahrt. Ich hätte nie gedacht, dass man sich so viel Mühe macht für überfahrene Katzen. Als ich mit der hartgefrorenen Katze im Fahrradkorb das Rad nach Hause schob, kam ich mir vor wie in einem John Irving-Roman.
Meine Trauer und mein Wille zu trauern war verhältnismäßig gering, weil das Beerdigen doch ein sehr profaner und auch nicht gerade angenehmer Vorgang ist. Ich habe den Kater heute Morgen vor der Arbeit ins Grab gelegt, konnte ihn aber nicht auspacken. Bereits am Freitag rechnete ich damit, dass man ihn auf dem Bauhof längst entsorgt hatte und insgeheim wäre es mir sogar ein bisschen lieb gewesen. Ich bin auch nur ein sensibler Stadtmensch und auch wenn ich David Cronenberg-Filme mag, heißt das nicht, dass ich erpicht auf die Aktion wäre. Klar ist mir so eine Verabschiedung und Bestattung auch lieb, aber es ist auch eine ziemlich unschöne Angelegenheit.
Ein Grund, weshalb ich ihn noch mal sehen und freilegen will, ist der, dass ihn sein Bruder noch mal tot riechen und sehen kann. Denn auch Katzen, so denke ich, können unterscheiden, ob eine Katze, zu der sie eine Bindung haben, vermisst ist oder tot.
Heute Nachmittag haben wir ihn dann gemeinsam ins Grab gelegt, so schlimm sah er gar nicht aus.
Schreibe einen Kommentar